Eine lebende Legende geht niemals so ganz

Eine lebende Legende geht niemals so ganz

7. Juni 2024 / Allgemein

Eine lebende Legende geht niemals so ganz

Eine lebende Legende geht niemals so ganz
Wolfgang „Ignaz“ Schmidt hängt nach über 7.000 Spielen die Pfeife an den Nagel Ein gutes Stück TSV-Geschichte – von Gerhard Rüppel

Es war noch einmal ein langer Pfiff und es war nicht nur der Schlusspfiff beim Freundschaftsspiel der TSV-Alten Herren gegen die AH des SV Seitzenhahn. Es war auch sein letzter Pfiff bei einem Spiel. Nach diesen 70 Minuten am 25. Mai 2024 beendete Wolfgang Schmidt, den fast alle nur als „Ignaz“ kennen, seine Laufbahn als Schiedsrichter. Vor 52 Jahren, also 1972 hatte er als 29 Jahre junger Mann an der Pfeife begonnen und nunmehr beendete er soeben das letzte seiner insgesamt über 7.000 Fußballspiele, für deren Leitung er als Schiedsrichter die Verantwortung übernommen hatte. 81 Jahre alt ist er darüber geworden.

In all den Jahren hat er, außer beim TSV, aus unterschiedlichen Gründen auch für den SV Neuhof, die SG Orlen, den TuS Hahn, den TuS Huppert und den TuS Breithardt Spiele geleitet. Der TSV Bleidenstadt aber ist seit langem seine Heimat geworden, hier wohnt er und hier ist er seit vielen Jahren auch als Platzwart, Handwerker, „Ballwiederbeschaffer“ und vieles mehr aktiv mit dabei.

Zusätzlich begleitet er die Senioren seit einigen Jahren auf ihren Abschluss-Fahrten nach Mallorca und unlängst fuhr er auch mit den Jugendlichen des JFV als Betreuer unter Führung von Ralf Neumann und Gernot Anders zum internationalen Jugendturnier nach Rimini an der italienischen Adria. Er ist halt noch fit mit seinen 81 Jahren und hat bis zuletzt immer noch rund 50 Spiele bei der Jugend im Jahr geleitet, oftmals mehrere an einem Wochenende. Dieses nun entstandene „Loch“ im Schiedsrichter-Soll des TSV müssen nun erstmal andere füllen.

Überhaupt ranken sich um ihn einige Anekdoten. So pfiff er in den 80er Jahren mal ein AH- Spiel auf dem Wehener Halberg und unterbrach kurzerhand die Begegnung, um sich hinter der Bande zu erleichtern. Das ewige Gejammer der Fußballer gefällt ihm ganz und gar nicht. Außerdem hadert er mit der ständigen wechselnden Regelauslegung beim Handspiel: „Geht der Ball offensichtlich an die Hand gibt es bei mir Freistoß oder Elfmeter. Ich pfeife, was ich sehe! So einfach ist das!“

Im Jahr 2004 hätte ihn in seinem Lieblingsurlaubsland Thailand beinahe ein schlimmes Schicksal im wahrsten Sinne des Wortes ereilt. Wie viele andere wurde er an Weihnachten beinahe Opfer des Tsunamis. In seiner Badehose gelang ihm im letzten Moment die Flucht vor den Wassermassen auf eine Anhöhe. Einheimische nahmen Ignaz auf, kleideten ihn ein und verpflegten ihn, bis er sich nach einigen Tagen bei seinen Angehörigen und Freunden in der Heimat melden und Entwarnung geben konnte.

In seinem letzten Spiel liefen beide Mannschaften, angeführt vom Schiedsrichtergespann, wie bei großen Spielen mit Einlauf-Kids auf das Spielfeld ein. Die AH-Spieler hatten sich zum Zeichen ihrer Verbundenheit mit „Ignaz-Bärten“ verkleidet. Schließlich gewannen die „Oldies“

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des TSV gegen die SV Seitzenhahn-AH mit 6:0 (4:0). Die Tore erzielten Mathias Braun (2), Dirk Seidel, Riad Sulaiman, Gernot Anders und Thomas Schüssler. Außer ihnen liefen beim TSV noch Sascha Wilke, Bernd Petschulies, Markus Weimar, Alexander Plasch, Roland Frank, Norman Schlabs, Dirk Grellmann und Michael Warnecke mit auf. Und unser „Ignaz“ brachte mit der Unterstützung seiner Assistenten Mia Weinhardt und Michael Duizendstra natürlich auch sein letztes Spiel mit der ihm eigenen Ruhe, Gelassenheit und ohne gelbe und rote Karten über die Bühne. Aber das Fußballspiel war diesmal nur der Anlass zu diesem Tag. Im Mittelpunkt stand Wolfgang „Ignaz“ Schmidt nach über 7.000 Spielen in 52 Jahren.

Die Offiziellen vom HFV, vom TSV und viele Gäste warteten vor dem neuen TSV-Heim, um ihn gebührend mit Worten des Dankes und Geschenken zu verabschieden. Sie mussten diesmal länger warten. Beide Mannschaften wollten sich zunächst auf dem Spielfeld von ihm verabschieden und hatten auch Geschenke dabei. Dirk Seidel überreichte die Urkunde zum Geschenk und Thomas Schüssler das Trikot der „Lebenden Legende“. Dann wurde sein Weg vom Spielfeld zum

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Mit den beiden Kapitänen bei der Seitenwahl

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Dirk Seidel überreicht die Urkunde zum Geschenk

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Thomas Schüssler hat das Legenden-Trikot für Ignaz

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Vereinsheim seines TSV immer wieder unterbrochen. Hier ein Autogramm, dort ein Schluck Sekt und immer wieder Küsschen und Fotos vor allem von und mit seinen weiblichen Fans. Er ist und bleibt halt ein „Womanizer“ unser Ignaz. Die Katze lässt das Mausen nicht, da spielt das Alter keine Rolle. „Ignaz“ ließ sich auch nicht aufhalten. Er genoss seinen Abgang vom Spielfeld und widmete sich all seinen Fans, die „sich ihm in den Weg stellten“ mit der

ihm eigenen Ruhe, Gelassen- und Zugewandtheit.

Als man ihm endlich seinen Weg zum TSV-Heim frei gemacht hatte, warteten dort vom Hessischen Fußball- Verband Kreisfußballwart Erich Herbst und Kreisschiedsrichterobmann Andreas Bertram mit Schiedsrichter-Kollege Jörg Daniel auf Ignaz, um sich für seine langjährige Tätigkeit an der Pfeife zu bedanken und ihm ein Geschenk zu überreichen. Er hatte in all den Jahren an so manchem Wochenende mehrmals gepfiffen und war auch immer dann einsatzbereit, wenn andere Kameraden krankheitsbedingt oder aus anderen Gründen ausgefallen waren. Einige seiner langjährigen Kameraden der Schiedsrichterzunft sind an diesem Nachmittag an den Röderweg gekommen. Sie kamen auch alle, um ihre Verbundenheit mit ihm zu zeigen.

TSV-Vorsitzender Markus Jestaedt und Abteilungsleiter Ralf Neumann bedankten sich nicht nur für seine Rolle als Schiedsrichter für den TSV, sondern auch für die vielen „Nebentätigkeiten“, die Wolfgang Schmidt auf dem Sportfeld Röderweg und im und um das TSV-Heim verrichtet. Dazu muss er nie „angestiftet“ werden, er macht einfach, manchmal schimpft er auch auf die, die alles irgendwo liegen lassen und er es wieder einmal wegräumen muss. Dass das Sportfeld Röderweg mit allem Drumherum ein stets gutes Bild hinterlässt, ist auch ein ganzes Stück weit das Verdienst von „Ignaz“. Ohne ihn sehe diese Welt halt nicht so sauber aus.

Delegationen der SG Orlen und des SV Neuhof unter der Führung von Hans Körner und Peter Noack waren ebenfalls gekommen, sich am Röderweg bei Wolfgang Schmidt zu bedanken.

Selbst Helga Grabowski, die in Bleidenstadt wohnende Witwe von Eintracht-Legende Jürgen Grabowski, die erst vor kurzem im TSV-Heim eine Ausstellung über die Karriere ihres unvergessenen Mannes bei Eintracht Frankfurt und in der deutschen Nationalmannschaft mitveranstaltet hatte, kam noch einmal an den Röderweg, um unseren „Ignaz“ auf dem Weg in den „Schiedsrichter-Ruhestand“ zu begleiten.

Der Offizielle Teil war damit beendet und „Ignaz“ saß mit
seinen Gästen am TSV-Heim und später im TSV-Heim an diesem Nachmittag und Abend

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noch lange zusammen und es wurden Anekdoten ausgetauscht, von denen es nach 52 Jahre einige zu erzählen gab.

Ach ja, eine Frage gab es noch. Wie hatte „Ignaz“ eigentlich seinen Weg zu den Schiedsrichtern gefunden, der 1972 begonnen hat? Er wohnte damals im Taunussteiner Stadtteil Neuhof und spielte Fußball beim Sportverein 1895. Velten Schilling war seinerzeit dort Abteilungsleiter der Fußballer und auch damals musste schon jeder Verein sein Schiedsrichtersoll erfüllen. Velten Schilling fragte im Verein und unser „Ignaz“ sagte am lautesten „Ja“. Dass das die Geburtsstunde einer Legende werden sollte, ahnte er damals noch nicht.

Natürlich war auch seine Familie unter seinen Gästen. Seine Tochter Daniela, Enkel Joshua und Enkelin Anna mit Urenkel Oskar wollten seinen Abschied als Schiedsrichter am Röderweg und im TSV-Heim miterleben. Sie freuten sich mit ihm, dass so viel Freunde am Röderweg zusammengekommen waren, um ihre Legende beim Abschied von der Pfeife zu begleiten.

„Ignaz“ genoss „das Bad“ unter seinen Freunden,
die zu seinen Ehren den Weg an den Röderweg gefunden hatten.

Zunächst wurde erst einmal gemeinsam gegessen. Waldemar Slezak und Andreas Münnich grillten, dass die Backen rot wurden und fleißige Hände hatten auch Salate vorbereitet.

Wolfgang hatte nicht nur viele Gäste, auch der Wettergott war sein Freund. So konnte man noch lange vor dem TSV-Heim sitzen und die letzten seiner Gäste saßen dann noch lange bis in den Abend im TSV-Gastraum.

Im TSV ist der Schiedsrichter Wolfgang „Ignaz“ Schmidt längst zu einer lebenden Legende geworden und daran wird sich auch nichts ändern. Am Röderweg werden wir ihn noch oft sehen und er wird dabei sein, wenn fleißige Hände benötigt werden. Und in einem Verein wie unserem TSV werden immer wieder fleißige Hände gebraucht.

Wie heißt es doch: „Eine lebende Legende geht niemals so ganz!“

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