Die Hartplatzlegenden trafen sich wieder am Röderweg

Die Hartplatzlegenden trafen sich wieder am Röderweg

17. November 2024 / Allgemein

Die Hartplatzlegenden trafen sich wieder am Röderweg

Vor 50 Jahren: Der TSV Bleidenstadt zieht in die dritte DFB-Pokal-Hauptrunde ein

Ein Bericht von Gerhard Rüppel

Am 12. November war es genau 50 Jahre her. Mit dem TSV Bleidenstadt zog ein viertklassiger Amateurklub in die dritte DFB-Pokal-Hauptrunde ein. Der TSV war in der Vorsaison 1973/74 bester Neuling in der Gruppenliga Hessen-Mitte (heute Verbandsliga). Das war seinerzeit die vierthöchste Liga in Deutschland nach Bundesliga, gerade gegründeter Zweiter Bundesliga Nord/Süd und Hessen-Liga. Als Kreispokalsieger im Untertaunus hatte sich die Mannschaft zunächst im Bezirkspokal gegen die Liga-Gefährten RSV Würges und FVgg. Kastel 06 durchgesetzt, dann im Hessenpokal beim TSV Kleinlinden, wieder einem Liga-Gefährten aus dem Gießener Raum, 1:2 verloren und sich danach in einer „Verliererrunde“ beim FV 09 Breidenbach und gegen Teutonia Großenlüder durchgesetzt. Für die seinerzeit 128 Teilnehmer der ersten DFB-Pokal-Hauptrunde (heute 64) qualifizierten sich damals fünf Amateur-Vereine aus Hessen. Deswegen gab es für die fünf Plätze bei acht Teilnehmern am Hessenpokal noch eine Verliererrunde. In der ersten DFB-Pokal-Hauptrunde musste der TSV zum Südwest-Vertreter FC 06 Rodalben im Raum Pirmasens. Norbert Schulz und Willi Reichert trafen in der Verlängerung und Keeper Horst Brzobohaty hielt den 2:1-Sieg fest. Mit dem FC 08 Homburg/Saar musste dann am 26. Oktober 1974 in der 2. Hauptrunde ein Vertreter der 2. Bundesliga Süd auf dem damaligen Hartplatz am Bleidenstadter Röderweg antreten, ein heutzutage nicht mehr denkbares Szenario.1.600 Zuschauer säumten den Röderweg, bis heute Zuschauerrekord, der Hessische Rundfunk hatte ein Fernseh- und Rundfunkteam mit Live-Einblendungen geschickt und am Ende hieß es, auch nach Verlängerung, 0:0 unentschieden. Seinerzeit mussten unentschiedene DFB-Pokalspiele noch auf des Gegners Platz wiederholt werden, ehe man zur finalen Entscheidung schritt – einem Elfmeterschießen.

Die TSV-Mannschaft vor dem ersten Spiel gegen den FC 08 Homburg/Saar am 26. Okt. 1974 – Über 1.600 Zuschauer sind bis heute Zuschauerrekord am Röderweg – Die TSV-Startelf: v.l.n.r.: Jürgen Mielke, Horst Brzobohaty, Bernd Hollinger, Helmut Hollinger, Walter Weimar, Norbert Schulz, Wilhelm Damm, Willi Reichert, Dieter Schulz, Jupp Schmidt, Siegbert Eckl

Es war dann ein regnerischer Dienstag, an diesem 12. November 1974 gegen 22:00 Uhr im Wiesbadener Stadion an der Berliner Straße. Mangels Flutlichtanlage im eigenen Stadion hatten die Saarländer einem Wiederholungsspiel in Wiesbaden zugestimmt. Erneut hatte sich der TSV dem Zweitbundesligisten vor diesmal über 2.000 Zuschauern widersetzt und nach insgesamt vier Stunden Spielzeit mit zweimaliger Verlängerung stand es immer noch 0:0. Ein Elfmeterschießen musste nun die Entscheidung bringen. Die Trainer und Ex-Profis, Max Schmid (TSV) und Uwe Klimaschefski (FC Homburg), teilten bei strömendem Regen ihre Elfmeterschützen ein. Die Torhüter Bratislav Dordevic (FC Homburg) und Horst Brzobohaty (TSV) konzentrierten sich auf ihre Aufgabe. Inzwischen wolkenbruchartige Regenfälle machten dieses Schauspiel noch dramatischer.

Der Ausgang ist Teil dieser erfolgreichen TSV-Geschichte. Unter den Augen der beiden Stadtoberhäupter, OB Rudi Schmidt (Wiesbaden) und Bürgermeister Arthur Fuhr (Taunusstein) hielt Horst Brzobohaty drei von vier Elfmetern und gilt seitdem als „Elfmetertöter aus dem Taunus“. Den dritten Elfmeter hatte der Zweitbundesligist schon neben das Tor gesetzt. Willi Reichert und Helmut Hollinger hatten da bereits die ersten beiden TSV-Elfmeter verwandelt und es fiel nicht mehr ins Gewicht, dass Rudi Schlossbauer mit dem dritten Elfmeter auch nicht das Tor traf. Zum vierten Elfmeter musste der TSV gar nicht mehr antreten. Bemerkenswert: Dieser Ablauf eines Elfmeterschießens hat sich in der gesamten Geschichte des DFB-Pokals erst einmal wiederholt. Im Halbfinale 2015 zwischen Borussia Dortmund und Bayern München, als mehrere Bayern-Spieler am Elfmeterpunkt ausrutschten und es am Ende auch 2:0 für Dortmund stand.

Die TSV-Spieler feierten den 2:0-Sieg mit ihren Zuschauern auf der Tribüne im strömenden Regen und danach in der Kabine unter der Tribüne im Wiesbadener Stadion. Dass man hörte, dass nebenan Homburgs Trainer Uwe Klimaschefski die ganze Tribüne am liebsten abgerissen hätte, machte dabei die Stimmung nur noch besser.

Am 8. Februar 1975 (Fastnachtssamstag) endete die erste DFB-Pokalreise des TSV dann mit einem 2:4 vor 3.000 Zuschauern beim damaligen dreifachen Deutschen Amateurmeister SC Jülich 10, nach dem Rainer Watzke und Helmut Hollinger zunächst eine 2:0-Führung vorgelegt und Willi Reichert sogar das 3:0 auf dem Fuß hatte. Über 300 Fans haben damals den TSV in mehreren Bussen und vielen Pkws begleitet und mit dem TSV schied damals auch der FC Bayern München mit einer 2:3-Heimniederlage gegen den MSV Duisburg aus dem DFB-Pokal in der 3. Hauptrunde aus.

1977 zog der TSV wieder in die DFB-Pokal-Hauptrunde ein. Mit einem 2:1-Sieg in der Verlängerung (wie auch sonst) durch zwei Treffer von Siegbert Eckl und Helmut Schloßbauer warf man am 30. Juli 1974 im Bochumer Ruhrstadion mit der SG Wattenscheid 09 wieder einen Zweitbundesligisten aus dem Wettbewerb und es kam am 20. August 1977 zum legendären Spiel in der 2. Runde beim damaligen Deutschen Vizemeister FC Schalke 04 im Gelsenkirchener Parkstadion. Der TSV verkaufte sich auch dort gut vor 8.000 Zuschauern. Gegen eine mit sieben Nationalspielern bestückte Bundesligamannschaft hatte man beim 1:8 (1:4) keine Chance. Allein Nationalmittelstürmer Klaus Fischer traf viermal, allerdings ohne Fallrückzieher und Rudi Schloßbauer verkürzte in der ersten Hälfte mit einem Kopfball nach einer Ecke von Jupp Schmidt auf zwischenzeitlich 1:2. Die Busfahrt am Vortag nach Gelsenkirchen, die Übernachtung im Maritim-Hotel am Stadtgarten, der morgendliche Spaziergang im Stadtpark, die Fahrt mit der damals einzigartigen Rolltreppe zum Stadionrasen, das ganze Spiel, der Trikottausch und das anschließende gemeinsame Essen im Blauen Salon unter der Betreuung der Schalker Legende Charly Neumann werden immer im Gedächtnis bleiben. Am nächsten Tag wurde die Mannschaft mit ihrem Umfeld von der Stadt Taunusstein in den Mehrzweckräumen des Sport- und Jugendzentrums empfangen. Die Fußballer des TSV, sie waren in den 70er Jahren das Aushängeschild und die ersten Botschafter der ganz jungen Stadt Taunusstein in Hessen und in der Bundesrepublik Deutschland.

Beide Mannschaften nach dem Spiel beim FC Schalke 04 im Gelsenkirchener Parkstadion: stehend v.l.n.r.: E. Kremers, Demange, Maric, Dubski, Schipper, 2 Linienrichter, Klaus Fischer, Schiedsrichter Osmers, Bongartz, Lütkebohmert, Helmut Lohse, Abramczik, Alfred Hollinger, Eberhard Ohl, Günter Gebauer, Dieter Gleißner, Rüssmann, Kurt Kaltwasser und Franz Deuser. Hockend v.l.n.r.: Gerhard Rüppel, Norbert Schulz, Thiele, Jupp Schmidt, Dieter Schulz, Willi Löhr, Walter Pichl, Bernd Hollinger, Rudi Schloßbauer, Siegbert Eckl, Rudi Jakoby und Wolfgang Geissinger. Sitzend v.l.n.r.: Jürgen Mielke und Helmut Schloßbauer.

Die 70er Jahre – Das erfolgreichste Jahrzehnt einer Amateurmannschaft im Kreis

Schließlich muss man sich mal in Erinnerung rufen: Die Hartplatzhelden aus den 70er waren die erste Mannschaft aus dem Untertaunus, die von A-Klasse über die Bezirksliga bis in die damalige Gruppenliga Hessen-Mitte aufgestiegen ist. Zwischen 1971 und 1981 standen sie elfmal hintereinander in Kreispokalendspielen und holten dabei zehnmal den Titel Kreispokalsieger. Viermal standen sie im Bezirkspokalfinale und zweimal gewannen sie den Bezirkspokal gegen die FVgg Kastel 06 im Jahr 1974 und die Spvgg. Igstadt 1977. Fünfmal standen sie in Hessenpokalspielen und qualifizierten sich in 1974 und 1977 dabei zweimal für die Hauptrunde DFB-Vereinspokal. Dort bestritten sie insgesamt sechs DFB-Pokalspiele auf bundesdeutscher Ebene. Insgesamt 43 Feldspieler, 8 Torhüter und 4 Ersatztorhüter wurden in dem Jahrzehnt allein in den 11 Kreispokalendspielen, 4 Bezirkspokalspielen, 5 Hessenpokalspielen und den 6 Spielen im DFB-Vereinspokal eingesetzt. In der Verantwortung standen dabei die drei Trainer Max Schmid, Gerhard Frank und Willi Löhr.

Bis heute gibt es eine enge Verbundenheit der TSV-Recken von damals. Deswegen war es natürlich so etwas wie eine Pflicht, dass sich die TSV-Legenden aus den 70er Jahren mit ihrem Umfeld auch nach 50 Jahren am 12. November 2024 wieder am heimischen Röderweg trafen. Alfred Hollinger und Gerhard Rüppel hatten es organisiert. Leider konnten nicht mehr alle dabei sein. Aber natürlich haben sie an ihre verstorbenen Sportkameraden gedacht und auch an die, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zu den Treffen kommen können. Bei einer gemeinsamen Wanderung, die auch über die Friedhöfe in Bleidenstadt und Hahn führte. Schließlich darf auch im fortgeschrittenen Alter die Bewegung nicht fehlen, auch wenn es dabei jetzt etwas gemütlicher zugegangen ist. Das Wetter war jedenfalls deutlich besser als der strömende Regen vor 50 Jahren. Insgesamt fanden noch 18 Teilnehmer aus den 70er Jahren über die Wanderung den Weg zurück zum Sportplatz.

50 Jahre danach: Viele von ihnen sind heute noch oft am Röderweg zu sehen: v.l.n.r.: Arno Kimpel, Georg Stumpf, Matthias Emmelheinz, Raimund Gerhard, Horst Brzobohaty, Alfred Hollinger, Peter Leißl, Helmut Hollinger, Max Schmid, Rainer Biefang, Jupp Schmidt, Helmut Gotscher, Wolfgang Geissinger, Bernd Hollinger, Gerd Hollinger, Jürgen Mielke, Gerhard Rüppel und Norbert Schulz.

Die bei TSV-Pokalspielen damals fast übliche „Verlängerung“ fand dann diesmal im neuen schmucken TSV-Heim am Sportfeld Röderweg statt, der heute zeitgemäß mit Kunstrasen und LED-Flutlicht ausgestattet ist, Verhältnissen, von denen die TSV-Hartplatz-Legenden damals nur träumen konnten. Bei gemeinsamem Essen und Trinken wurde dann die eine oder andere Erinnerung und Anekdote aus den erfolgreichsten Zeiten, die die TSV-Fußballer je hatten, ausgetauscht und es stand auch noch einiges an Bildmaterial zur Verfügung. Am Ende war man sich einig, dass man sich wieder trifft. Die Gelegenheit, sich nach 50 Jahren noch einmal zu erinnern, wird es in diesem Jahrzehnt noch mehrfach geben.